Nach einer Bootsfahrt am Morgen, einem Tag am Strand in Necoclí und einer Nacht im Nachtbus kam ich ziemlich erschöpft in Medellin an. Kolumbien ist eben ein großes Land und man kann mehr Zeit im Bus zubringen, als einem lieb ist. Wobei ich eigentlich gern Bus fahre. Man sieht viel vom Land und trifft manchmal sogar interessante Menschen. Aber ich schlafe auch einfach gerne und das nicht nur im Nachtbus.

Medellin ist die zweitgrößte Stadt des Landes und gilt als kosmopolitischer und moderner als Bogotá. Außerdem ist sie das nördliche Ende des Kaffee-Dreiecks, auch bekannt als Kaffee-Zone oder Zona Cafetera.

Als ich am Morgen in Medellin ankam erlebte ich aber etwas, das es in den vergangenen Monaten meiner Reise lange nicht mehr gegeben hatte: Regen. Wie sich in den folgenden Tagen herausstellte, hatte die Regenzeit in diesem Jahr einige Wochen früher begonnen als üblich. Der Regen wurde von nun an für den Rest meiner Reise ein ständiger Begleiter. Die „Hauptaktivität“ in der Kaffee-Zone ist das Wandern. Dafür ist Regen nun nicht unbedingt hilfreich, aber man braucht eben manchmal etwas Geduld und muss sich mit der Situation arrangieren. Und das ist ein großer Vorteil des Reisens gegenüber dem Urlaub: man kann es sich erlauben, auch mal die Pläne um einen Tag zu verschieben, weil man spontan unterwegs ist und ohne Zeitdruck.

Es ist für mich mittlerweile fast schon Standard, bei Ankunft in einer Stadt zuerst eine FreeWalkingTour zu absolvieren. Diese sind spendenbasiert, aber professionell organisiert und oftmals sehr lehrreich! Während man über die Geschichte eines Ortes noch einiges im Internet lesen kann, erfährt man hier vieles aus erster Hand von Guides, die tatsächlich vor Ort leben. Oft weiß man garnicht so genau, wo man hinschauen muss um interessante Dinge zu entdecken und dabei hilft einem eine geführte Tour. Außerdem kann man Tipps zum Essen und ähnlichem erhalten. Und Essen ist wichtig!

Medellin ist in 16 Comunas aufgeteilt. Die reicheren sind im Tal, während sich die irregulären, ärmeren an den Hängen der umgebenden Berge erstrecken. Je nachdem in welcher Comuna man lebt, sind z.B. Steuern und Abgaben, aber natürlich auch der Wert des eigenen Hauses, sehr verschieden. 

International bekannt (danke Netflix) ist die Stadt als „Wirkungsstätte“ Pablo Escobars. Ein Vorteil, dass die ärmeren Viertel an den Hängen gelegen sind ist, dass die Gangster die Polizei so beobachten konnten, wenn sie sich auf den Weg nach oben machte und deshalb genug Zeit zum Verschwinden blieb. Die ziemlich steilen Hänge mochten den Verbrechern zum Vorteil gereichen, für die normalen Menschen stell(t)en sie aber ein großes Problem dar. Denn die meisten „regulären“ Jobs gibt es natürlich im Zentrum der Stadt.

Die Stadtverwaltung fand dafür eine Lösung, die mir selbst nicht so direkt eingefallen wäre: Sie baute Seilbahnen. Diese sind genau die gleichen Modelle wie die, die man in den Alpen im Skiurlaub sieht. Einziger Unterschied ist, dass sie mehrere Zwischenstationen haben und Menschen in beide Richtungen transportieren, nicht nur nach oben.  

Insgesamt gibt es 6 Linien, die direkt an das Metro-Netz angeschlossen sind. Man muss also nicht extra bezahlen, wenn man in die Seilbahn umsteigt und kann mit seinem Ticket für umgerechnet etwa 50ct direkt weiterfahren. Sehr praktisch. So kann man in 12 Minuten Orte erreichen, zu denen man mit dem Bus mehr als 90 Minuten unterwegs wäre. Diese Infrastrukturprojekte (zu denen auch der Bau von Rolltreppen im Freien zählt, aber dazu später mehr) haben viel bewirkt und sind heute ein Symbol des Wandels im Land. Nicht zu vergessen ist hierbei die Metro. Für uns vollkommen normal, in Kolumbien aber etwas besonderes. Es geht sogar soweit, dass die Einwohner Medellíns von der „Metro-Kultur“ sprechen. Diese steht zum Beispiel für gegenseitigen Respekt und Rücksichtnahme, aber auch Zuverlässigkeit der öffentlichen Hand gegenüber ihren Bürgern.

Meine Unterkunft fand ich, wie die meisten Touristen, im Viertel El Poblado. Dieses ist etwas moderner und schicker als zum Beispiel das Zentrum. Man könnte es auch als Ausgehviertel bezeichnen. Das historische Zentrum ist wie in den meisten Städten vor allem nachts relativ gefährlich und deshalb spart man sich viele graue Haare, wenn man nicht dort unterkommt. 

Ein viel beworbenes Highlight ist der Besuch der Comuna 13. Noch in den 90er Jahren war Medellin als gefährlichste Stadt der Welt bekannt und die Comuna 13 sozusagen der Quell dieses Rufs. Doch glücklicherweise begann irgendwann die Zeit des Wandels und heute kann man die zahlreichen Graffitis, StreetArt, etc. bewundern. Möglich wurde dieser Wandel vor allem dadurch, dass die rivalisierenden Drogenkartelle eine Art Abkommen schlossen, dass die Grenzen der „Zuständigkeitsgebiete“ festlegte und Revierkämpfe damit mehr oder weniger der Vergangenheit angehörten. Sie hatten angeblich festgestellt, dass diese das Auftauchen der Polizei (inklusive der üblichen Gewalt) nach sich zogen und sie insgesamt ruhiger lebten, wenn sie auf Schießereien etc. verzichteten. 

Die Comuna 13 besuchte ich im Rahmen einer FreeWalkingTour. Unser Guide war hier aufgewachsen und hatte die schlimmeren Zeiten hier erlebt, obwohl er nicht viel älter als ich ist. Er erzählte uns zum Beispiel, dass einer seiner Freunde mit etwa 13 Jahren eine unsichtbare Grenze zwischen Territorien überquert hatte und daraufhin erschossen wurde.

Natürlich hörte ich den Begriff „Narco Culture“ nicht zum ersten Mal, aber aus erster Hand zu erfahren, was es u.a. mit Kindern macht, wenn sie in der Allgegenwart der Drogenkartelle aufwachsen, war sehr ergreifend. Man stellt sich immer vor, dass die Bewohner die Kartelle verachten und verabscheuen, aber tatsächlich waren die Gangster für viele Kinder auch Vorbilder. Das lag nicht nur am berühmten „sozialen Engagement“ von Baronen wie Escobar, sondern auch schlicht daran, dass andere Vorbilder fehlten und die Verbrecher mit ihrer Macht und ihrem relativen Wohlstand Anziehung ausübten. 

Eine gewisse internationale Aufmerksamkeit erlangte die Comuna 13 durch die Eröffnung einer Rolltreppenanlage im Freien, die mitten durch das Viertel gebaut wurde und insgesamt die Höhe von 28 Stockwerken überwindet. Ähnlich wie die Seilbahnen ermöglicht sie den Bewohnern die Teilnahme am normalen öffentlichen Leben. Es war wohl damals recht leicht für die Stadtverwaltung, die für den Bau notwendigen Grundstücke zu erwerben, da ohnehin niemand gern dort lebte. Mittlerweile ist die Comuna 13 ein sicheres und recht begehrtes Viertel zum Wohnen und die Werte der Häuser sind rasant gestiegen. Bei der Recherche für diesen Artikel stieß ich auf das Datum der Eröffnung der Rolltreppen und war mittelmäßig geschockt: 2011. 

Die Rolltreppe ist links. Leider war ich nicht so fleißig beim Fotografieren…

Selbstverständlich hat die Veränderung schon vorher begonnen (denn man kann sicherlich keine so umfangreiche Investition in einem Gebiet mit alltäglichen Schießereien vornehmen) aber wie sehr Projekte wie dieses den Wandel beschleunigen können, ist schon bemerkenswert. 

Da ich nicht so viele gute Bilder geschossen habe, hier ein interessanter Link:

https://www.theguardian.com/world/gallery/2013/jul/31/outdoor-escalator-medellin-colombia-pictures

Die Vergangenheit dieses Ortes faszinierte mich schon vorher sehr, aber der eigentliche Besuch dort war dann etwas anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Denn die berühmten (und wirklich sehr interessanten) Graffitis werden täglich von 1000den, gefühlt eher zehntausenden, Touristen bestaunt und es fühlte sich ein bisschen wie in einem Freizeitpark an. Es gibt unzählige Bars, Cafés, Restaurants und Läden, die eindeutig für Touristen gemacht sind. Von daher bleibt mir der Besuch auf jeden Fall in Erinnerung, aber ein bisschen schade ist es schon, dass sich so eine künstliche Atmosphäre entwickelt hat. 

Gegen Nachmittag kündigte sich schon wieder ein schöner Regen an, sodass wir den Tag mit einer weiteren Seilbahnfahrt ausklingen ließen. 

P.S.: Oft habe ich daran gedacht und es nun doch fast vergessen, in den Blog zu schreiben: im Viertel El Poblado gab es eindeutig das beste Eis, das ich auf der ganzen Reise gegessen habe. Der Laden heißt Amor-Acuya (ein Wortspiel aus Maracuya und Amor, also Liebe falls es jemandem nicht aufgefallen sein sollte) und vor allem das Maracuya-Eis mit Schokostückchen drin war immer wieder umwerfend. Ich kann garnicht mehr sagen, wie oft wir in der Zeit dort waren, aber es war auf jeden Fall oft… 😛 und manchmal träume ich noch davon.

Ich glaub, dass dies offiziell der längste Blogeintrag jemals hier geworden ist. Wie man vielleicht merkt, zählt auch Medellin für mich zu den absoluten Highlights meiner Reise, was aber auch an den umwerfenden Leuten, die ich dort getroffen habe, liegt. 

Und noch ein Nachruf:

Nach insgesamt über 8 Monaten gemeinsamer Reisezeit in Indien, Südafrika sowie Zentral- und Südamerika gaben diese Schuhe leider langsam aber sicher den Geist auf. Eine wirklich schwere Trennung und die Nachfolger treten in große Fußstapfen…